Luca Calvagna ist einer der ersten sogenannten Gastarbeiter gewesen.
»Alles, was ich brauchte, hatte ich in der Majolika.«
So wie Luca Calvagna haben es rund 80 sogenannte Gastarbeiter in den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren beim Schramberger Unternehmen empfunden.
Schramberg
Mit Heimweh im Herzen kamen sie als junge Erwachsene aus Italien, Griechenland oder der Türkei in den Schwarzwald, auf der Suche nach einer Tätigkeit, die ihren Lebensunterhalt sicherte. In der Schramberger Majolika fanden sie Arbeit und ein zweites Zuhause. Für Firmeninhaber Peter Meyer waren Menschen wie Luca Calvagna genauso »Gast« wie »Arbeiter«. In Erinnerung an dessen fürsorglichen und respektvollen Umgang mit der Belegschaft geht dem Italiener, Jahrgang 1941, auch noch nach Jahrzehnten das Herz auf. Und wenn Luca Calvagna heute als Rentner durch Schramberg flaniert, erzählt er eine Geschichte besonders oft:
Als er mit 22 Jahren gemeinsam mit seiner Frau nach Schramberg gekommen war, ließ er zunächst seinen kleinen Sohn in Italien zurück.
»Wir haben ihn nachgeholt, als wir uns eingelebt hatten.«
Kaum vereint, traf die kleine Familie ein schwerer Schicksalsschlag: der Erstgeborene erkrankte und starb. Zur Trauer und Verzweiflung kamen noch die finanziellen Sorgen, da das Ehepaar Calvagna den Sohn in Italien beisetzen wollte. Er könne sich noch gut an die Situation erinnern, so Luca Calvagna, als er im Büro seines Chefs stand und ihm vom Tod seines Sohnes erzählte.
»Herr Meyer griff zum Telefon, rief im Kinderkrankenhaus an, leitete alles für die Überführung nach Italien in die Wege und kam sogar für die Kosten auf.«
Aber nicht nur bei solch schweren Schicksalsschlägen habe sich der Majolika-Chef großzügig und verständnisvoll gezeigt, erzählt Luca Calvagna. Die Arbeiter bekamen unter anderem Firmenwohnungen zur Verfügung gestellt.
»Holz, Kohle und Gasflaschen wurden uns geliefert, und alle zwei Wochen bekamen wir frische Bettwäsche.« Mittags ging es in die Firmen-Kantine zum Essen. »Donnerstags gab es dort oft Koteletts, die schmeckten besonders gut.«
Auch das soziale Leben des Ehepaars spielte sich in und um die Majolika ab.
Diese Annehmlichkeiten, der gute Ton unter den Mitarbeitern und das faire Miteinander machte die Schramberger Majolikafabrik, erzählt Luca Calvagna, zu einem gefragten Arbeitgeber – auch unter den sogenannten Gastarbeitern.
»Viele meiner Familienmitglieder kamen nach Schramberg, um hier in der Majolika zu arbeiten.«
Er selbst kam auf Empfehlung seines Schwagers in den Schwarzwald. Viele Familienmitglieder blieben ein paar
Monate, andere ein paar Jahre, und manche, so wie Luca Calvagna, beinahe den Rest ihres Lebens. Für die Arbeit hier war es wichtig, Deutsch zu können. Durch das italienische Konsulat habe er einen Abendkurs vermittelt bekommen, den er nach Feierabend besuchte. So fleißig und wissbegierig er tagsüber in der Majolika war, so aufmerksam lernte er mehrere Monate lang nach Feierabend die deutsche Sprache.
»Nach fünf Monaten konnte ich als Dolmetscher schon bei Gesprächen mit italienischen Kollegen vermitteln.«
Zunächst wurde der Italiener in der Dreherei/Gießerei als Verschwammer angelernt.
»Aufgrund seiner Geschicklichkeit kam er im Verlaufe seiner Betriebszugehörigkeit im Bereich der gesamten Abteilung zum Einsatz«, heißt es in seinem Zeugnis. »Als erstes stellte ich Fondue-Teller her«, erinnert sich Luca Calvagna. »Der erste Tag war schlimm, vieles ging kaputt.«
Aber der Abteilungsleiter erkannte sein Potenzial schnell und übertrug ihm komplexere Aufgaben. Schon nach einigen Wochen stellte der Neuankömmling fest:
»Je schwerer die Formen, desto besser hat es geklappt.«
Wenn der Italiener, der heute »zwischen zwei Welten«, sprich in Italien und in Deutschland lebt, Majolika-Geschirr sieht, entfährt ihm oft der Satz: »Das habe ich auch gemacht.« Egal ob Kannen, Terrinen, Tassen, Ziergeschirr wie Lampen oder Schalen: Luca Calvagna hatte bei vielen Majolika-Produkten »seine Hände im Spiel«. Zuhause – sowohl in Deutschland als auch in Italien – hat Luca Calvagna Schramberger Geschirr stehen.
»Ich habe alles von Majolika«,
verrät der Großvater von sechs Enkelkindern. Denn er hat die Majolika nicht nur in den Schränken, sondern auch im Herzen.